... Dabei
denke ich an das putzige Säbelzahneichhörnchen aus Ice
Age, das mit dem Arsch im tauenden Eisblock feststeckt
und kaum erwarten kann, endlich davon loszukommen. Ich
habe mich im Kino schier kaputt gelacht über das Tierchen,
das seine persönlichen Katastrophen magisch anzuziehen
scheint.
Geht es mir nicht ähnlich? 
Auch ich stecke im Untergrund
fest, bis er mich freigibt und bin ein Pechvogel, der durch
einen dummen Zufall in diese Situation geraten ist.
Eigentlich sollte ich mich nach so langer Zeit und
unzähligen Wiederholungen längst an den allnächtlichen
Ablauf gewöhnt haben.
Die letzten Sonnenstrahlen verblassen und die
Dämmerung kündigt sich an. 
Zwar kann ich das von
meiner Position aus nicht sehen, da die Raumbeleuchtung
die äußeren Einflüsse verfälscht, und mehr als ein Blinzeln
bringe ich außerdem auch nicht zustande. Aber ich fühle es.
Mein Körper, meine innere Uhr fühlt, dass es bald soweit
ist. Voller Ungeduld, Abend für Abend und Jahr für Jahr.
Bald kann ich den ätzenden Tag hinter mir lassen und für
ein paar Stunden das Vergessen in der Dunkelheit suchen.
Ja, und was für ein Tag wieder hinter mir liegt!
Touristenströme, Schulklassen, Studenten, Reisegruppen,
Rentnerpaare, Liebespärchen, Einzelpersonen und
Klugscheißer. Alle kommen sie Tag für Tag – außer
dienstags – in den Louvre und starren uns an.
Uns.
Die Exponate.
Von Künstlern geschaffene Objekte aus Stein, so
realitätsnah modelliert, dass manche Besucher sich nicht
beherrschen können und uns betatschen (wenn gerade
keine Aufsicht im Saal zuguckt), um sich davon zu
überzeugen, dass wir wirklich nicht leben oder dass wir
nicht nur aus Kunststoff oder Gips bestehen. 
Nein, wir
sind keine Fälschungen! Wir sind kunstvoll behauener und
geschliffener Marmor, meine Damen und Herren! 
Also
Finger weg.
Wie ich das hasse!
Ich will kein Objekt sein. 
Ich will nicht angestarrt,
bestaunt, bekrittelt oder gar angefasst werden. 
Ich will nicht
länger dieses wichtigtuerische Fachsimpeln hören, über die
Qualität der Arbeit, über meine Nacktheit, über die
Besonderheit oder Abartigkeit meiner Natur, darüber was
der Künstler sich gedacht hat und mit der Skulptur
ausdrücken wollte, und ob ich nun das antike Original oder
doch nur eine spätere Kopie bin …
Wenn ich tagsüber wenigstens tief und fest schlafen
könnte, dann bekäme ich das alles nicht mit. Aber ich
schlafe nie. Außer dienstags, wenn das Museum
glücklicherweise geschlossen hat. 
An den anderen Tagen
verfalle ich maximal in eine Art Dämmerzustand. Ich höre
Geräusche, ich döse traumlos vor mich hin, aber ich bin
genauso schnell wieder hellwach, wenn mir jemand zu nahe
kommt. Wie ein Wachhund, der bei dem leisesten
Geräusch aus dem Tiefschlaf hochschreckt.
Wut über das Ausgestelltsein, über das Ausgeliefertsein,
über meinen Gesamtzustand kocht in meinen Adern und es
wundert mich, dass man meinen trommelnden Herzschlag
nicht hört. Das dumpfe Wummern in meinem Brustkorb,
das mir in den Ohren dröhnt, wenn ich am liebsten
ausrasten, schreien und dabei wild um mich schlagen
würde.
Ich weiß nicht, wie es meinen Leidensgenossen, den
anderen Skulpturen ergeht, da ich nachts noch nie einem
von ihnen begegnet bin. Vielleicht gibt es in ihnen auch gar
keine Existenz, vielleicht sind die anderen alle wirklich nur
totes Gestein und ich bin in dieser Hinsicht einzigartig. 
Die
einzige lebende Skulptur in diesem riesengroßen Museum.
Oder sogar die einzige ihrer Art auf der ganzen Welt.
Das klingt erschreckend und das ist es auch für mich,
immer wieder aufs Neue, wenn ich darüber nachdenke.
Denn eigentlich will ich nicht einzigartig sein, wenn der
Preis dafür dieses elende Alleinsein ist. Denn obwohl ich
mich nachts mit echten Menschen treffen kann, bin ich
einsam und in meinem Zustand verloren.